Gottfried in a Nutshell #9

Leibniz? Leibnitz? Oder vielleicht Leibnütz?

Es besteht kein Zweifel, Leibniz war ein Mann des Wortes: "Hätte er so viele Taler in der Tasche wie Zettel, wäre er reicher als die hannoversche Kammer", spöttelte er über sich selbst. Hans Magnus Enzensberger äußerte sich über den gigantischen leibnizschen Schrift-Nachlass (ca. 200.000 Blatt) etwas despektierlich: Es sei ein "ganzer Heuschober voller Annalen, Gutachten, Denkschriften, Katalogen und Miszellaneen".

Allerdings selten geriet Herr Leibniz so in emotionale Wallungen, wie über das Thema der Ausübung und Verbesserung der deutschen Sprache: Als "Barbarei" bezeichnete er den seiner Meinung nach vorherrschenden Sprachmissbrauch der "gemeinen Mischmäscher", die "ihre Schriften mit allerhand Sprachen durchspicken". Damit zielte er vor allem auf das "Alamode-Deutsch" des 17. Jahrhunderts, das von französischen Worten und Wendungen durchmischt war. Französisch war eben schon damals 'très chic'.

Als Leibniz die Bühne betrat, stand die deutsche Sprache noch im Prozess einer erfolgreichen Sprachkultivierung. Es gab noch erhebliche Mängel, die behoben werden mussten, damit die deutsche Sprache gegenüber dem Latein als bewährte Wissenschaftssprache und gegenüber dem Französischen als hochentwickelte Kultur- und Gesellschaftssprache bestehen konnte. Man schrieb im 17. Jahrhundert gerne nach Gehör. Zu Leibniz' Lebzeiten waren z. B. viele verschiedene Schreibweisen seines Familiennamens in Gebrauch: Leibnitz", "Leibnütz" oder auch "Leubnütz" sind überliefert - der Philosoph persönlich variierte beim Unterzeichnen seiner Post. Rechtschreibung ist eine Erfindung des 19. Jahrhunderts, ihre Festlegung setzt ein mit Luthers Bibelübersetzung (1522) und kommt erst mit dem "Deutschen Wörterbuch" der Brüder Grimm (1852/1854) weitestgehend zu einem Abschluss. Dazwischen liegen Jahrhunderte des Ringens um Orthographie, Grammatik, Lexikographie, Stilistik und Poetik. Sprachkritik war dabei ein besonderes Anliegen der Aufklärungsphilosophie. Bereits die "Sprachgesellschaften", bekannt ist vor allem die "Fruchtbringende Gesellschaft" (Weimar, 1617-1680), hatten sich der Reinhaltung und Pflege der Sprache verschrieben. Leitbegriffe waren "Reinheit", "Richtigkeit", "Zierlichkeit", und "Glanz". Leibniz war eine zentrale Figur in der Konzeptualisierung der Sprachkritik. Er implementierte ein Sprachprogramm in die auf seine Initiative hin neu gegründete Berliner Societät der Wissenschaften (1700) und wurde zu einem der Anreger der großen Wörterbuchprojekte seit dem 18. Jahrhundert. Für seine vergleichenden Sprachforschungen ließ er sich von Missionaren aus China und Russland das Vaterunser in unterschiedlichen Landessprachen und Dialekten (slawische, chinesische und mandschurische-Dialekte) zuschicken, um Sprachverwandtschaften und Sprachstämme zu rekonstruieren.

Leibniz lag vor allem die Entwicklung des Deutschen als Wissenschaftssprache am Herzen, damit Deutsch als "Hauptsprache" gleichwertig neben den bereits höher entwickelten europäischen Sprachen stehen könne. Denn die Sprache "ist eine Dolmetscherin des Gemüts und eine Behalterin der Wissenschaft, so würde unter anderm auch dahin zu trachten sein, wie allerhand nachdenkliche, nützliche, auch annehmliche Kernschriften in deutscher Sprache verfertigt werden möchten...". Besonders im handwerklichen Bereich könne man doch punkten "denn es sey keine Sprache in der Welt, die von Ertze und Bergwercken reicher und nachdrücklicher rede", wobei hingegen in der "Denk-Kunst", "Logik" und "Methaphysik", welche dem "gemeinen Manne etwas entlegen" noch Nachholbedarf herrsche. Im Übrigen habe auch das Französische bisweilen Mängel, so Leibniz, denn z. B. das Wort "reiten", im Latein "equitare", könne im Französischen auch nicht "ohne Umschweife übersetzt werden" (frz. "faire du cheval"). Ein Sprachpurist war er aber nicht: "So bin ich auch so abergläubisch deutsch nicht, daß ich nur um eines nicht gar zu deutschen Wortes willen die Kraft einer bündigen Rede schwächen wolle." Der Netzwerker sah sich, trotz manch emotionaler kulturpatriotischer Äußerung, als ein europäischer Gelehrter. Wohl deswegen sind nur etwa 15 % seiner überlieferten Schriften auf Deutsch verfasst. Leibniz korrespondierte meist auf Latein, sprach am hannoverschen Hof überwiegend Französisch. Englisch verstand er kaum. Heute ist Englisch zur "Lingua franca" geworden, in Europa und auch in der Welt. Vielsprachigkeit und die Pflege der Muttersprache, wie sie auch Leibniz propagierte, gehörte in den Kontext der alteuropäischen, höfischen Gesellschaft wie auch heute in die Europäische Union mit allein 24 Amtssprachen. Unsere verschiedenen Sprachen gehören zum kulturellen Reichtum Europas. Sprachpflege und Sprachkritik bleibt dabei auch heute ein aktuelles und kontroverses Thema. Nicht zuletzt deswegen, weil es uns dort betrifft, wo es um unsere mühsam errungene in wechselseitigen Verständnisprozessen zu sichernde Identität geht. Denn, so schon Leibniz: "Die Sprache ist ein Spiegel des Verstandes". Nutzen wir sie weise.

In diesem Sinne: Tschüss*!

* Im 17. Jahrhundert als Lehnwort aus dem romanischen Sprachraum übernommen von "adieu", "adios" zu "adjüst", "atschüs".

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Dr. Ariane Walsdorf
Referat für Kommunikation und Marketing
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