Forschende gehen davon aus, dass ein Verlust der Biodiversität – zum Beispiel durch menschliche Eingriffe in Ökosysteme – die Übertragung von Krankheitserregern zwischen Tier und Mensch, sogenannte Zoonosen, begünstigt. Doch wie groß ist dieser Effekt? Ihn genauer zu beziffern, ist das Ziel eines internationalen Forschungsteams unter Leitung der Charité – Universitätsmedizin Berlin und Ko-Leitung der Leibniz Universität Hannover. Die Ergebnisse sollen dabei helfen, ein erhöhtes Risiko für die Entstehung von Zoonosen frühzeitig erkennen zu können. Das jetzt gestartete Projekt „Zoonosis Emergence across Degraded and Restored Forest Ecosystems” (ZOE) wird von der EU-Kommission für vier Jahre mit rund vier Millionen Euro gefördert im Rahmen des europäischen Forschungsrahmenprogramms „Horizon Europe“. Die Partner kommen aus sieben europäischen und vier amerikanischen Ländern.
Zoonotische Infektionskrankheiten entstehen dort, wo Mensch und Tier zusammentreffen – beispielsweise in der Massentierhaltung oder beim Handel und Verzehr von Wildtieren. Aber auch in Gebieten, in denen der Mensch in natürliche Lebensräume eingreift. Einerseits, weil er dadurch mit Wildtieren in Kontakt kommt. Andererseits, weil er das empfindliche Gleichgewicht des Ökosystems stört. Der Verlust der Artenvielfalt beeinflusst die Wahrscheinlichkeit von Zoonosen. Und zwar insbesondere dort, wo der Mensch Landschaften erstmals oder anders als bisher nutzt: wo er zum Beispiel Wälder abholzt, um Weideland für Nutztiere oder Plantagen zu schaffen, oder wo Städte sich in das Umland ausbreiten.
Interdisziplinäres Team kartiert Makro- und Mikro-Biodiversität
Die genauen Zusammenhänge zwischen Landnutzungsänderungen, dem Verlust der Biodiversität und dem Zoonose-Risiko sind noch immer unklar. Um sie besser zu verstehen, hat Prof. Dr. Jan Felix Drexler, Virologe an der Charité und Koordinator des neuen Forschungsvorhabens, gemeinsam mit Prof. Dr. Nadja Kabisch, Landschaftsökologin an der Leibniz Universität Hannover (LUH) und Ko-Koordinatorin des Projekts, ein interdisziplinäres Konsortium mit ausgewiesener Expertise in Geografie, Geobotanik, Ökologie, Virologie, Immunologie, Epidemiologie, Soziologie, Psychologie, Anthropologie und Wissensverbreitung versammelt.
Die Forschenden planen eine detaillierte Kartierung der Biodiversität in Waldgebieten, in die der Mensch unterschiedlich stark eingegriffen hat. Das Team wird dazu in Guatemala, Costa Rica, Slowenien und der Slowakei ursprüngliche Wälder sowie entwaldete und renaturierte Flächen untersuchen.
Um die jeweils vorherrschende Landnutzung und die Artenvielfalt zu ermitteln, sollen die Beschaffenheit der Landschaft sowie die Tier- und Pflanzenarten mithilfe von Satellitenaufnahmen und auch direkt vor Ort erfasst werden. Zusätzlich wollen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bestimmen, wie viele potenziell gefährliche Mikroorganismen in dem Ökosystem zirkulieren, indem sie Nagetiere, Zecken und Mücken – als häufige Träger zoonotischer Erreger – mittels moderner Sequenziertechniken auf das Vorhandensein verschiedener Bakterien und Viren testen.
Blutproben von in der Nähe lebenden Menschen werden Aufschluss darüber geben, wie viele dieser Erreger bereits übertragen worden sind. Ergänzend zu den biomedizinischen Untersuchungen will das Forschungsteam auch systematische Haushaltsbefragungen durchführen: Wie erleben die Menschen in den Studiengebieten die Umweltveränderungen? Wie häufig treten Krankheiten auf, wie gehen sie mit dem Infektionsrisiko um?
Vorhersagemodelle zur frühen Erkennung des Zoonose-Risikos
Aus diesen Daten werden die Forschenden statistische Modelle entwickeln, um Aussagen darüber zu treffen, wie stark das Risiko zoonotischer Erkrankungen durch Landnutzungsänderungen und den Verlust der Biodiversität steigt. Das Team der LUH ist vor allem verantwortlich für die Analysen der Landnutzungsänderung mit Fernerkundungsdaten der Fallstudiengebiete. „Wir schauen uns die vorherrschenden Landschaftsstrukturen an, vor allem in Bezug auf die Habitatausdehnung und die menschlichen Eingriffe. Wir versuchen also, basierend auf Fernerkundungsdaten, Landschaftsänderungen und deren Einfluss auf Habitate und damit Biodiversität abzuschätzen“, erklärt Ko-Koordinatorin Nadja Kabisch, die an der LUH die Arbeitsgruppe Digitale Landschaftsökologie leitet. Ebenfalls beteiligt ist seitens der LUH das Institut für Geobotanik unter Leitung von Prof. Dr. Hans Jürgen Böhmer, an dem in den Fallstudien das Vegetationsmapping durchgeführt wird. Das im Projekt erarbeitete Wissen soll sowohl den Menschen vor Ort als auch der breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Ziel ist es, das Risiko von Zoonosen frühzeitig zu erkennen und zu begrenzen – als Baustein zur Vermeidung künftiger Epidemien.
Weitere Informationen und alle Projekt-Beteiligte:
Hinweis an die Redaktion:
Für weitere Informationen steht Ihnen Prof. Dr. Nadja Kabisch, Arbeitsgruppe Digitale Landschaftsökologie, unter Telefon +49 511 762 3591 oder per E-Mail unter nadja.kabisch@phygeo.uni-hannover.de gern zur Verfügung.