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Briefwahl in Deutschland: Defizite und Lösungen

Briefwahl in Deutschland: Defizite und Lösungen

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© Foto: LUH/Thomas Damm
Prof. Dr. Dominic Nyhuis ist Inhaber der Professur Quantitative Methoden der Politikwissenschaft an der Leibniz Universität Hannover.

Prof. Dr. Dominic Nyhuis von der Leibniz Universität Hannover legt Forschungsergebnisse über die praktische Ausgestaltung der Briefwahl vor

Wer bei einer Wahl in Deutschland seine Stimme per Brief abgibt, muss vergleichsweise wenige Hürden überwinden: Während in anderen Ländern die Kopie des Ausweises oder Zeugenunterschriften eingereicht werden müssen, genügt in Deutschland eine eigene Unterschrift auf dem Wahlschein. Trotzdem ist die Briefwahl anfällig für Formfehler – und nicht gewertete Briefwahlstimmen werden in der Statistik nicht als solche ausgewiesen, sondern als nicht abgegebene Stimmen gezählt. „Das führt zu einem mangelnden Problembewusstsein für die Anfälligkeit von Wahlbriefen für Formfehler“, sagt Prof. Dr. Dominic Nyhuis, seit August 2022 Politikwissenschaftler an der Leibniz Universität Hannover (LUH). Der Anteil ungewerteter Briefwahlstimmen läge deutlich höher als der typische Anteil ungültiger Urnenwahlstimmen, stellt Nyhuis fest und betont den steigenden Anteil der Briefwahl insgesamt – seit der Streichung der Begründungspflicht für die Briefwahl aus dem Bundeswahlgesetz im Jahr 2008 und besonders im Laufe der Covid-19-Pandemie.

Nyhuis hat sich in den vergangenen Jahren mit der praktischen Ausgestaltung der Briefwahl befasst und hierzu in mehreren Fachmedien publiziert. Unter anderem hat er die europäischen Briefwahlsysteme verglichen, deutsche Wählerinnen und Wähler zum Spagat zwischen Nutzerfreundlichkeit und Betrugssicherheit befragt und Wahlstatistiken ausgewertet. Auf dieser Grundlage gibt er fünf Empfehlungen für die Reform der Briefwahl in Deutschland.

Einsendeschluss für Wahlbriefe verlängern

Aktuell müssen Wahlbriefe bis zum Wahltag vorliegen. „Schätzungsweise wird rund einer von fünf formal fehlerhaften Wahlbriefen aufgrund verspäteten Eingangs zurückgewiesen“, sagt Nyhuis. Besonders relevant sei die Frage des Einsendeschlusses für Auslandsdeutsche, aufgrund langer und nicht vorhersehbarer Postlaufzeiten. Nyhuis empfiehlt deshalb eine Änderung am Beispiel von Litauen und Portugal: Dort werden Wahlbriefe bis fünf bzw. zehn Tage nach der Wahl akzeptiert – sofern sie spätestens zum Wahltermin in die Post gegeben wurden.

Wahlunterlagen vereinfachen

„Es ist wichtig, Wahlunterlagen zu entwerfen, die sowohl graphisch als auch sprachlich so nutzerfreundlich wie möglich sind. Die deutschen Briefwahlunterlagen werden diesem Anspruch nicht gerecht“, so Nyhuis. Er empfiehlt eine professionelle Design-Prüfung der Unterlagen, kürzere und einfachere Texte sowie eine optische Hervorhebung entscheidender Inhalte.

Wahlunterlagen übersetzen

Bei Wahlen mit EU-Ausländerbeteiligung werden in der Regel mehr Wahlbriefe abgewiesen, gibt Nyhuis zu bedenken, der einen Teil dieses Problems auf Formfehler durch Sprachbarrieren zurückführt. Die Prinzipien der leichten Sprache könnten dagegen helfen – vor allem aber eine englische Übersetzung des beiliegenden Informationsblattes, so die Empfehlung des Politikwissenschaftlers.

Über Formfehler informieren

Formfehler sind auch bei Reformen des Briefwahlsystems nicht komplett zu vermeiden. „Im Falle einer Zurückweisung wäre es aber sinnvoll, Wählerinnen und Wähler über diesen Umstand zu informieren. Nur so können sie aus ihren Fehlern lernen – gerade, wenn sich die Briefwahl immer stärker zum Regelfall entwickelt“, so Nyhuis. Er verweist hier auf das Vorbild Großbritanniens und empfiehlt eine Information der Betroffenen per Brief nach Abschluss der Wahl.

Formfehler in der Wahlstatistik ausweisen

Um das Bewusstsein für das Thema zu steigern, empfiehlt Nyhuis außerdem, die Zahl der wegen Formfehlern zurückgewiesenen Wahlbriefe künftig gesondert in der Wahlstatistik auszuweisen. Die meisten Daten dafür würden bereits heute vorliegen – sie müssten nur genutzt werden.

„Während die Forschung zur Zurückweisung von Wahlbriefen in Deutschland noch in den Kinderschuhen steckt, ist dieses Thema in der internationalen Literatur bereits etwas besser etabliert“, sagt Nyhuis und betont: „Eine zusätzliche Brisanz erhalten zurückgewiesene Wahlbriefe, weil sie sich nicht gleichmäßig über die Wählerschaft verteilen, sondern vor allem sozial Benachteiligte treffen.“ Mithilfe einer Analyse der ungewerteten Stimmen in den Bremer Ortsteilen konnte Nyhuis nachweisen, dass der Anteil der Arbeitslosen- und Sozialhilfeempfänger mit dem Anteil der formal fehlerhaften Wahlbriefe zusammenhängt.

Originalpublikation:

Dominic Nyhuis: Defizite bei der Briefwahl in Deutschland – und fünf Vorschläge zur Abhilfe, Zeitschrift für Parlamentsfragen, Heft 1/2022, S. 75-86, DOI: 10.5771/0340-1758-2022-1-75

 

Hinweis an die Redaktion:

Für weitere Informationen steht Ihnen Prof. Dr. Dominic Nyhuis, Professur für Quantitative Methoden der Politikwissenschaft, unter Telefon 0511 762-4685 oder per E-Mail d.nyhuis@ipw.uni-hannover.de gern zur Verfügung.