Gemeinsame Erklärung der Gottfried Wilhelm Leibniz Universität Hannover und der Deutschen Technion-Gesellschaft e.V. zu Eduard Pestel

Die Leibniz Universität Hannover hat in den letzten Jahren die Vergangenheit ihrer Vorgänger-Institution, der Technischen Hochschule Hannover, während der NS-Zeit aufgearbeitet. Am Rande dieser Arbeit wurden jetzt auch Unterlagen aus dem Bundesarchiv Berlin und dem Universitätsarchiv Hannover, die Rektoren der Technischen Hochschule Hannover nach der NS-Zeit betreffen, gesichtet und in einer gerade erschienenen Publikation zusammengefasst: M. Jung, Verdrängte Vergangenheit: Nachkriegsrektoren der Technischen Hochschule Hannover in der NS-Zeit. Hannoversche Geschichtsblätter 70 (2016).

Eduard Pestel (1914-1988) war von 1969 bis 1970 Rektor der Technischen Universität Hannover und 1977 bis 1981 Niedersächsischer Minister für Wissenschaft und Kunst. Auf seine Initiative hin erfolgte 1982 die Neugründung der von Albert Einstein 1924 gegründeten und während der NS-Zeit verbotenen Deutschen Technion-Gesellschaft e.V., die seither die wissenschaftliche Zusammenarbeit zwischen deutschen und israelischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern fördert.

Die Untersuchungen zu den Rektoren haben Unterlagen zutage gefördert, die belegen, dass Eduard Pestel sich während der NS-Zeit in einer aus heutiger Sicht inakzeptablen Weise verhalten hat. Ausweislich seiner Studenten- und Personalakte der Technischen Hochschule Hannover, wo er von 1935 bis 1938 Bauingenieurwesen studierte, war er seit 1933 Mitglied des NS-Studentenbundes und der SA und übernahm dort auch Funktionen. Gegen Ende seines Studiums absolvierte Eduard Pestel von 1938 bis 1939 einen Auslandsaufenthalt am Rensselaer Polytechnic Institute (RPI), NY, USA, den er mit dem Master Degree abschloss. Im Universitätsarchiv Hannover fand sich der dieser Erklärung als Anlage beigefügte Auszug eines Briefs an die Technische Hochschule Hannover. Der Brief Pestels wurde auszugsweise von Rektor Simons an die Mitglieder der Fakultät für Bauwesen im Umlauf weitergeleitet. 13 Lehrende zeichneten den Brief ab, bevor er wieder zurück an Simons ging. Die in dem Brief enthaltenen Äußerungen, insbesondere jedoch die auf dem beigefügten Blatt, müssen als antisemitisch gewertet werden. Die Gottfried Wilhelm Leibniz Universität Hannover und die Deutsche Technion-Gesellschaft e. V. distanzieren sich nachdrücklich von diesen Äußerungen.

Das zutage getretene Verhalten von Eduard Pestel irritiert angesichts der Verdienste, die er sich nach der NS-Zeit in Niedersachsen und weit darüber hinaus erworben hat. Nach dem Studienabschluss in den USA war Eduard Pestel in der deutschen Gesandtschaft in Mexiko tätig und anschließend in der Wirtschaftsabteilung der deutschen Botschaft in Washington. Nach einem Japan-Aufenthalt (1941-1947) promovierte Eduard Pestel 1947 an der Technischen Hochschule Hannover zum Dr.-Ing. und habilitierte sich dort 1950. 1953 wurde er außerplanmäßiger Professor und war dann von 1957 bis 1977 Ordinarius und Leiter des Institutes für Mechanik der Technischen Hochschule Hannover. Er hat in dieser Zeit wichtige, auch leitende Funktionen beispielsweise im NATO-Wissenschaftsausschuss, der Stiftung Volkswagenwerk (heute: VolkswagenStiftung), der Deutschen Forschungsgemeinschaft, der Europäischen Kulturstiftung, der Fraunhofer-Gesellschaft für angewandte Forschung sowie im Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft eingenommen. Der breiteren auch internationalen Öffentlichkeit wurde Eduard Pestel durch die Gründung des Club of Rome und die daraus resultierende Publikation Die Grenzen des Wachstums im Jahr 1972 bekannt.

Nach der Übernahme des Amtes als Niedersächsischer Minister für Wissenschaft und Kunst im Jahre 1977 sorgte Eduard Pestel dafür, dass die vor Beginn seiner Amtszeit nur gelegentliche Förderung von gemeinsamen Forschungsvorhaben niedersächsischer und israelischer Wissenschaftler aus Mitteln, die dem Land aus dem Niedersächsischen Vorab der Stiftung Volkswagenwerk zur Verfügung standen, ausgebaut und kontinuierlich fortgesetzt wurde. Während bis dahin auf israelischer Seite nur die Hebräische Universität Jerusalem an dieser vom Land geförderten Kooperation beteiligt war, veranlasste er auf Grund seiner persönlichen Kenntnis des internationalen Renommees der Ingenieur- und Naturwissenschaftler am Technion - Israel Institute of Technology - in Haifa, dass diese älteste israelische Hochschule, die maßgeblich auf Initiative deutscher Juden und unter führender Beteiligung deutsch-jüdischer Wissenschaftler vor dem 1. Weltkrieg gegründet und 1924 eröffnet wurde, in die Landesförderung einbezogen wurde. Auf Grund einer Einladung stattete er im März 1981 als Minister Israel einen Besuch ab und verkündete bei einer Ansprache im Kreise der Leitung des Technion Haifa, dass er beschlossen habe, den von 1924 bis 1933 in Berlin existierenden und von Albert Einstein geleiteten deutschen Freundeskreis des Technion wiederzubeleben. Dies geschah dann 1982 nach dem Ausscheiden Pestels aus dem Landeskabinett.

Der Freundeskreis wurde unter dem Namen "Deutsche Technion-Gesellschaft" mit dem Sitz in Hannover in das Vereinsregister eingetragen und Eduard Pestel zu seinem ersten Vorsitzenden gewählt, ein Amt, das er bis zu seinem Tode 1988 ausgeübt und das ihn zu mehreren Reisen nach Israel geführt hat. Gründungsmitglieder der Deutschen Technion-Gesellschaft waren 30 Persönlichkeiten, die Eduard Pestel auf Grund seiner beruflichen und persönlichen Verbindungen gewonnen hatte, darunter die Regierungschefs von Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Bremen, Dr. Ernst Albrecht, Johannes Rau und Hans Koschnick. Auf Einladung Pestels gehörte und gehört bis heute dem Vorstand der Deutschen Technion-Gesellschaft auch der Vorsitzende des Landesverbandes der jüdischen Gemeinden von Niedersachsen, Michael Fürst, an.

Bedauerlicherweise hat Eduard Pestel sich nie öffentlich von seiner Sympathie für den Nationalsozialismus während der Studienzeit distanziert. Seine späteren großen Verdienste um die wissenschaftlichen Beziehungen zu Israel - insbesondere dem Technion in Haifa - können jedoch als bewusste Distanzierung von seinem früheren Verhalten interpretiert werden. Diese Wertung machen sich die Unterzeichnenden zu eigen.

Hannover, den 19. November 2016

Prof. Dr. Volker Epping
Präsident der
Gottfried Wilhelm Leibniz Universität Hannover
Prof. Dr. Thomas Scheper
Vorsitzender der
Deutschen Technion-Gesellschaft e. V.

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